Temme, Hubertus: Ein tragisches Ende by Temme

Temme, Hubertus: Ein tragisches Ende by Temme

Autor:Temme
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalnovellen
Herausgeber: Verlag das Neue Berlin


Das Herz im Recht

Ein alter und ein junger Herr saßen beisammen.

Sie verhandelten eine Sache, und der alte Herr wollte den jungen Herrn zu etwas bereden.

»Aber es ist gegen die Gesetze, was Sie von mir verlangen«, sagte der junge Herr.

»Aber es ist gegen das Recht, was Sie tun wollen«, sagte der alte Herr.

Der junge Herr war ein junger Staatsanwalt.

Der alte Herr war ein pensionierter Kriminalrichter.

Die Sache, die sie verhandelten, war folgende:

In der Stadt wohnte eine Frau von etwas zweideutigem Rufe. Sie unterhielt eine Weinwirtschaft, die meist von jungen Herren besucht wurde, deren Ruf auch nicht immer der beste war.

In ihrer Wirtschaft hatte sie stets hübsche Kellnerinnen. Diese zogen meistens die Gäste an. Das stand fest.

Etwas Weiteres war allerdings nicht bewiesen, und Wirtin und Wirtschaft standen nur im Rufe der Zweideutigkeit.

Die Wirtin war eine Zeit zu Verwandten in einen entfernten kleinen Ort gereist. Als sie zurückkehrte, brachte sie ein junges Mädchen von kaum siebzehn Jahren aus diesem Dorfe mit. Das Kind war ihre Nichte, eine arme Waise, bildhübsch, die Unschuld selbst, aber auch die Unerfahrenheit selbst. Sie mußte im Hause der Tante die Dienste einer Kellnerin verrichten, wie die anderen Kellnerinnen des Hauses.

Nach drei Wochen hatte sie heimlich ihre Tante verlassen. Sie hatte zugleich nicht nur ihre eigenen wenigen und wertlosen Sachen, sondern auch eine goldene Brosche und ein Paar goldene Ohrringe ihrer Tante mitgenommen, die diese ihr geliehen und künftig ihr zu schenken versprochen hatte, wenn sie sich fleißig zeige und die Gäste mit ihr zufrieden seien. Das Mädchen hatte die Sachen sofort bei einem Goldarbeiter, dem sie dieselben für ihr Eigentum ausgegeben, verkauft und hatte dann mit der nächsten Post nach ihrer Heimat zurückreisen wollen. Auf dem Wege zum Posthause wurde sie verhaftet. Die Tante hatte der Polizei Anzeige gemacht.

Die Polizei übergab sie der Staatsanwaltschaft.

Der Staatsanwalt sollte die Anklage wegen Hausdiebstahls gegen sie erheben.

Die Strafe, die sie zu erwarten hätte, wenn die Anklage erhoben wurde, war Zuchthaus, mindestens einjähriges Gefängnis.

Der junge Staatsanwalt wollte die Klage erheben.

Darüber verhandelte der alte Kriminalrat mit ihm. Der ehemalige Kriminalbeamte wollte den gegenwärtigen bereden, die Klage nicht anzustellen. Dieser meinte, er handle dann gegen die Gesetze; jener erwiderte ihm, er verletze das Recht.

»Die Gesetze enthalten das Recht, sind das Recht«, sagte der Staatsanwalt.

»Hm, nicht immer«, versetzte der Kriminalrat.

»Am Ende auch in diesem Falle nicht?«

»Unzweifelhaft auch in diesem Falle nicht! Analysieren wir ihn.«

»Das Mädchen – der Richter in ihrem Heimatorte, ein alter Universitätsfreund von mir, hat mir über sie geschrieben; er ist zugleich ihr Vormundschaftsrichter.

Er bittet mich, mich für sie zu verwenden; in dem ganzen Orte findet das Kind die lebhafteste Teilnahme, das innigste Bedauern, sie ist unschuldig, ehrlich, brav ...«

»Und sie hat hier gestohlen!« unterbrach der Staatsanwalt den alten Rat.

»Sie ist eine arme, vater- und mutterlose Waise!«

»Macht das ihr Verbrechen weniger strafbar?«

»Die Tante ist eine schlechte Person.«

»Auch schlechte Personen stehen unter dem Schutze des Gesetzes.«

»Sie hat das Mädchen unter Vorspiegelungen hierhergelockt.«

»Das Mädchen war dadurch nicht zu einem Diebstahl berechtigt.«

»Das arme Kind entdeckte hier bald, in welchem Hause, in welcher Gesellschaft, in welchen Händen sie war, Sie war hier hilf- und schutzlos.



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